24.05.2024

Grundschulen bedürfnisorientiert gestalten

EIN GANZTAG ZUM WOHLFÜHLEN

Wenn Kinder mehr Zeit im Ganztag als Zuhause verbringen, wird die Schule zu ihrem Lebensraum. Der Schlüssel zum Wohlfühlort sind die Lebensthemen und Bedürfnisse der Kinder.

Es ist 7 Uhr und die Sonne ist noch nicht ganz aufgegangen, als die ersten Kinder auf dem Schulgelände eintrudeln, alle sind noch ein wenig verschlafen. Doch je mehr Kinder eintreffen, desto lebhafter werden die Gespräche, während sie ihre Jacken ausziehen und die Schuhe abstreifen. Alle angekommen, starten sie gemeinsam mit ihrer Lehrkraft im Morgenkreis. Ein ganzer Tag liegt vor ihnen. Welche Begegnungen, Entdeckungen und Erkenntnisse dieser wohl bereithält?

Der Ganztag ist bald an allen Grundschulen in Deutschland Pflicht. Ab 2026 steht allen Kindern der ersten Klassenstufe ein Platz in der Ganztagsbetreuung zu, bis 2029 folgen die weiteren Klassenstufen der Grundschule. Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen finanziell bei der Ausstattung des Ganztags. Das Gesetz ermöglicht es Eltern, Familie und Beruf besser zu vereinen und eröffnet allen Kindern bessere Bildungschancen, um ihr Potenzial zu entfalten.

Formen des Ganztags

Was ist eine offene Ganztagsschule?

Bei einer offenen Ganztagsschule (OGS, oder auch offene Schule) können Eltern selbst entscheiden, ob ihre Kinder an der Nachmittagsbetreuung teilnehmen möchten. Vormittags findet der verpflichtende Unterricht statt, der um eine freiwillige Mittagsbetreuung und ein Nachmittagsprogramm (z. B. Sport-, Musik- und Förderungsangebote) ergänzt wird.

Was ist eine gebundene Ganztagsschule?

An gebundenen Ganztagsschulen nehmen alle Kinder die Ganztagsbetreuung in Anspruch; Lernen, außerunterrichtliche Tätigkeiten und Freizeit sind über den ganzen Tag verteilt. Das birgt die Möglichkeit, sich von den zeitlichen Strukturen zu lösen und Lern- und Betreuungsangebote miteinander zu verzahnen.

Weitere Informationen zu den Formen der Ganztagsbetreuung bietet das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Der Rechtsanspruch und die Gelder sind da – nun stehen die Schulen vor einem Berg an Herausforderungen. Ausgelastete Lehrkräfte, zu wenig Personal und eine Kluft zwischen Betreuung und Schule lassen die Umsetzung des Ganztags utopisch erscheinen. Und dann wäre da noch das Schulgebäude, das meist mit wenigen, kleinen und veralteten Räumen der unflexibelste Partner für einen abwechslungsreichen Ganztag ist.

Raumlösungen aus Bedürfnissen ableiten

Unabhängig von Bundesland, Ganztagsform oder Schulleitbild sind die Lebensthemen und Bedürfnisse der Kinder der Schlüssel. Sie geben vor, welche Räume eine Schule braucht.

Bewegung. Im Grundschulalter ist das Bedürfnis nach Bewegung besonders groß – stärker noch, als in der frühen Kindheit. Kinder erkunden die Möglichkeiten und Grenzen ihres Körpers und schulen dabei spielerisch ihre Körperwahrnehmung und Raumerfahrung. Platz dafür finden sie auf dem Pausenhof oder in der Turnhalle. Um Bewegung auch in Lernphasen zu bringen, sollte ebenso Raum im Schulgebäude dafür geschaffen werden – z. B. ein Toberaum mit weichen Bodenmatten oder einer Kletterwand.

Welt mit Händen begreifen. Wie fühlt sich ein Regenwurm an und wie muss ich ein Papierschiffchen falten, sodass es schwimmt? Der Ganztag sollte Freiräume zum unbedarften Ausprobieren und Experimentieren bieten, in denen Kinder aktiv werden und eigene Lernerlebnisse schaffen können. Platz dafür finden sie in bunten Ateliers mit Schränken voller Bastelmaterialien und vielfältigen Werkzeugen oder auch in thematischen Ecken von multifunktionalen Klassenräumen.

Konzentration. Und warum schwimmt ein Boot überhaupt? Kinder haben viele Fragen, und möchten sich diese selbstständig beantworten. Damit sie ihren Interessen fokussiert nachgehen können, braucht es im Klassenzimmer abgeschirmte Selbstlernplätze oder ruhige Leseecken, um der Antwort ein Stück näherzukommen.

Runde Grafik, die die Bedürfnisse veranschaulicht

Medien nutzen. Kaum etwas ist verlockender als die bunte Welt der Medien, die nur so von Informationen sprudelt – die möchten Kinder auskosten und dabei spielerisch Neues entdecken. Wo kann man das besser austesten als in einer Bibliothek mit spannenden Büchern, einer vielfältigen Mediothek ausgestattet mit Laptops, Whiteboards und Hörbüchern oder einer PC-Ecke im Klassenzimmer?

Nahaufnahme von zwei Mädchen, die auf ein Tablet schauen

 

Zwei Kinder bemalen einen Karton in einem Kunstraum

 

Begegnung mit anderen Kindern. Grundschulkinder verbringen zunehmend Zeit mit Gleichaltrigen, vertrauen sich ihnen an und schließen feste Freundschaften. Spielerisch erlernen sie ein soziales Miteinander. Das geht am besten, wenn die Schule in ihren Räumen Begegnungsmöglichkeiten schafft. Ein zentraler Ort der Begegnung ist die Mensa, in der die Kinder ihre Mittagspause verbringen – nicht nur, um ihren Hunger zu stillen, sondern auch, um ausgelassen mit Freundinnen und Freunden zu plaudern. Zwischendurch können auch eine Spielothek oder ein Sitzkreis im Klassenraum zum Austausch einladen.

Rückzug. All die neuen Sinneseindrücke wollen verarbeitet werden und erwecken in den Kindern das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung. Zeit für sich finden sie in wohnlichen Lernräumen hinter schützenden Akustiktrennwänden, auf einem gemütlichen Sofa in der Bibliothek oder in Nischen mit Sitzkissen.

Doppelt gut: Das Wohlbefinden von Kindern beeinflusst ihre Bindung zur Schule und baut die kognitive und emotionale Grundlage für erfolgreiches Lernen.

Gestalten wir Räume, die Platz für die vielfältigen Bedürfnisse der Kinder bieten, dann kreieren wir einen bunten Lebensraum, in dem sich in einer Wohlfühlatmosphäre Potenziale entfalten. Und in dem sich nach einem ganzen Tag die Abenteurer, Komplizinnen und Lernpartner, Künstler, Sportler und Forscherinnen auf den Heimweg machen und sich fragen, was es wohl morgen zu entdecken gibt.

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